Die Schönheit des Scheiterns

Wer Fehler macht, mit dem Desaster flirtet oder einfach gänzlich scheitert, wird besser. Andernfalls bleibt man in einem Sumpf der Mittelmäßigkeit stecken.

Erfolg ist die Fähigkeit, von Misserfolg zu Misserfolg zu schreiten, ohne die Begeisterung zu verlieren.

Winston Churchill

© Unsplash/Estee Janssensa

In Deutschland sieht man das aktuell anders als der ehemalige britische Premierminister: Keinen Erfolg haben, versagen, straucheln, Schiffbruch erleiden … hierzulande trägt Scheitern ein Stigma. Wer scheitert, kann sich Spott und Häme sicher sein. Dabei außer Acht gelassen wird: Nur der kann scheitern, der aktiv wird und etwas versucht. Ohne solche Menschen gäbe es Stillstand.

Die Studie „Gute Fehler, schlechte Fehler“ von der Universität Hohenheim zeigt, dass die Deutschen risikoscheu sind. Andreas Kuckertz, Christoph Mandl und Martin P. Allmendinger befragten 2027 repräsentativ ausgewählte Deutsche. Dem Satz „Man soll kein Unternehmen gründen, wenn das Risiko des Scheiterns besteht“ stimmten 42 Prozent zu. „Auch in ähnlichen Studien stellt sich immer wieder heraus, dass viele Deutsche trotz Ideen und Kompetenz aufgrund des mit einer Unternehmensgründung einhergehenden Risikos auf die Umsetzung ihres Traums verzichten. Es existiert eine grundsätzliche Angst vor dem Scheitern“, sagt Kuckertz, Leiter des Instituts für Marketing & Management.

Das Tabu Scheitern

„Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade daraus.“ Es gibt genug kluge Sprichwörter, die den Umgang mit Misserfolgen lehren. Das Prinzip von Trial and Error, von Versuch und Irrtum, ist ein Weg des Erkenntnisgewinns und Fortschritts. Die sogenannte heuristische Methode bezieht das Scheitern ausdrücklich mit ein.

In Deutschland gibt es allerdings eine „Gewinner oder Verlierer“ Mentalität, mit der eine Intoleranz gegenüber Fehlleistungen einhergeht. Eine Studie der Leuphana Universität Lüneburg unter der Leitung von Professor Michael Frese sieht Deutschland im Vergleich mit 61 Ländern auf dem vorletzten Platz in Sachen Fehlertoleranz. Das Fazit: Scheitern ist ein Skandal in unserer leistungsorientierten Gesellschaft. Weder in Unternehmen noch privat wird offen über Misslungenes gesprochen. Die Entwicklung hat ausschließlich aufwärts zu streben. „Die Mentalität in Deutschland muss sich ändern. Es geht nicht immer um „mehr, höher und weiter““, sagt hingegen Kristine Lütke, Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren. Eine Firma zu verkleinern, würde Lütke beispielsweise nicht als Scheitern definieren. Das könne durchaus der sinnvolle Schritt sein, um langfristigen Erfolg zu sichern.

Umdenken ist nötig

Wir müssen uns neu orientieren und Niederlagen als notwendig auf dem Weg zum Erfolg betrachten, zeigt sich Erik Kessels in seinem Buch Fast perfekt überzeugt. Der Gründer einer international tätigen Werbeagentur schreibt weiter: „Wenn Sie Fehler vermeiden, indem Sie keine Risiken eingehen, entgehen Sie vielleicht dem Zorn ihres Chefs oder ihrer Kunden – Sie werden aber auch kein besonderes Lob für etwas ernten.“

Kessels fordert „Mut zum hemmungslosen Scheitern“. Das Sichere soll abgelehnt werden zugunsten des Aufregenden, Unbekannten. „Es lebe der Fehler!“, spitzt der Autor seine Botschaft zu. „Denken Sie mal an Ihre Kindheit zurück“, stimmt ihm Felix Maria Arnet, ein Coach für Unternehmer, in seinem Buch Gescheit scheitern zu. „Könnten Sie heute laufen, wenn Sie nach dem ersten Sturz von diesem frustrierenden Unterfangen abgelassen hätten?“ 

Zusammengefasst lässt sich also sagen: Wir brauchen eine neue Unternehmenskultur, die Scheitern als Möglichkeit zum Lernen betrachtet anstatt es zu stigmatisieren. Wenn man die Ursachen des Scheiterns auswertet und entsprechend seine Strategien ändert, können die Wurzeln für einen Erfolg gelegt werden.

Gescheit scheitern

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Die Geschichte der Erfindungen ist voller wunderschöner Fehler. Etwas erfüllt nicht den ursprünglichen Zweck? Das heißt nicht, dass das unerwartete Resultat nicht zu etwas Genialem führen kann. Von Penicillin über die Röntgenstrahlung – sie alle sind Nebenprodukte von Versuchen, die eigentlich etwas anderes zum Ziel hatten. 

Ferner haben viele bewunderte Menschen Erfahrungen mit dem Scheitern: Was wäre der Menschheit entgangen, wenn Pablo Picasso von der beißenden Kritik seiner Zeitgenossen beeindruckt gewesen wäre … oder Elvis Presley davon, dass er nach seinem ersten Auftritt gefeuert wurde … oder Steven Spielberg davon, dass er von der Filmhochschule flog … wenn Joanne K. Rowling aufgegeben hätte, nachdem ihr Manuskript Harry Potter zwölfmal abgelehnt wurde. Das betrifft nicht nur Künstler, sondern auch Unternehmer. Vor 25 Jahren hat Apple den Newton herausgebracht, einen klobigen Taschencomputer, der sich Personal Digital Assistant (PDA) nannte. Das Gerät wurde von Kritikern und Kunden verspottet. Im Rückblick stellt sich heraus: Der vermeintliche Fehlschlag war Vorläufer der Smartphone- und Tablet-Revolution. Die Zeitschrift Wired lobte den Newton PDA posthum als „prophetischen Fehlschlag“.

Auch macht ein Versagen noch keinen Versager, ganz im Gegenteil. Viele jetzt erfolgreiche Unternehmer sind mit Stehaufmännchen-Qualitäten in ihre Position gelangt. Max Levchin beispielsweise setzte vier Unternehmen in den Sand, bevor er mit PayPal seinen ersten Erfolg hatte. Sein Geschäftspartner bei dem Zahlungsdienst, Elon Musk, hat sich danach auf Elektroantriebe und die Raumfahrt konzentriert. Mit brennenden Autobatterien und explodierenden Raketen erlebt er krachende Niederlagen. Aber unverdrossen geht er mit neuen Ideen an den Start.

In Deutschland habe der Unternehmer an sich ein schlechtes Image, bedauert Lütke. Wenn er schon Ansehen genießen wolle, müsse er erfolgreich sein. „Ist er es nicht, folgt Schadenfreude“, so Lütke. Hierzulande sei Prozessen Zeit zu geben und Fehlversuche zuzulassen nicht verbreitet. In der Wissenschaft sei das anders, erzählt Lütke. „In jedem Chemielabor werden Anläufe ohne Ende gemacht, bevor vielleicht das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Im Sport stellt niemand gleich beim ersten Anlauf einen Weltrekord auf. Manchmal braucht es halt auch in der Wirtschaft ein bisschen, bis man die Lösung hat.“

Die Mentalität in Deutschland muss sich ändern. Es geht nicht immer um mehr, höher und weiter.

Kristine Lütke

WJD-Bundesvorsitzende 2018

Über Scheitern reden

Scheitern war lange ein Thema wie Krankheit und Sex. Darüber spricht man nicht. Zu peinlich. Kaum vorstellbar zum Beispiel: Politiker in der Jahresbilanz aufzählen, was sie alles nicht hinbekommen haben. Die Forderung: Mehr Stimmen hörbar machen von denjenigen, die gewagt haben und gescheitert sind. „Die Lebensgeschichten insbesondere von erfolgreichen Unternehmern, die auf ihrem Weg zum Erfolg mehrfach gescheitert sind, müssen stärker verbreitet werden, damit ihre ursprünglichen Misserfolge als Vorbedingungen des späteren Erfolges verstanden werden.“

Scheitern könne wertvolle Lerneffekte mit sich bringen, ist die Bundesvorsitzende Lütke überzeugt. Ein bisschen setze sich auch in Deutschland die Erkenntnis durch, dass man über seine Fehlschläge durchaus reden kann. Als Beispiel nennt Lütke die sogenannten Fuck-Up Nights: „Hier reden Menschen öffentlich über ihre größten Fehler – und natürlich darüber, was sie für Lehren daraus gezogen haben.“   

Nicht nur am Umgang mit Fehlern in Deutschland müsse gearbeitet werden, sondern am Bild des Unternehmers in der Öffentlichkeit generell, setzt Lütke ihren Appell fort. Ein Bewusstsein dafür müsse geschärft werden, dass er ein Fortschrittsmotor ist und Arbeitsplätze schafft. „Schon in den Schulen sollte verstärkt vermittelt werden, dass es in Ordnung ist, es zu wagen, sein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen und dass dabei nicht alles auf Anhieb glücken muss“, ermutigt Lütke künftige Unternehmergenerationen. Diese sollten bei Anfangsschwierigkeiten nicht verzagen, sondern die Worte des Schriftstellers Truman Capote beherzigen: „Misserfolg ist die Würze, die dem Erfolg erst sein Aroma verleiht.“