Ein guter Unternehmer ist immer bereit ein Risiko einzugehen
- 13.11.2018
- AUTHOR: Tanya Jochims
Nikolaus Förster ist Herausgeber und Inhaber des Unternehmermagazins impulse. Kristine Lütke, Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren Deutschland, hat sich mit ihm in der Kantine seines Verlags in Hamburg getroffen und über die Kultur des Scheiterns in Deutschland sowie seinen größten Fehler gesprochen.

Kristine Lütke: Herr Förster, Ihre berufliche Laufbahn liest sich wie eine reine Erfolgsgeschichte. Was hat sie also dazu bewegt, sich gerade mit dem Thema des Scheiterns zu beschäftigen?
Nikolaus Förster: Ich wurde 2009 Chefredakteur des impulseMagazins, nachdem ich die Financial Times Deutschland mit aufgebaut hatte. Meine erste Amtshandlung war es, eine neue letzte Seite im Magazin einzuführen. Diese Seite hieß „Mein größter Fehler“. Mir wurden damals von Unternehmern einfach viel zu viele Erfolgsgeschichten erzählt. Aber wer etwas lernen möchte, sollte auch auf die Dinge schauen, die nicht gut laufen. Deswegen haben wir Unternehmer ab 60 Jahren, die auf ihr Leben zurückblicken, nach ihren größten Fehlern befragt. Sie haben einen reichen Erfahrungsschatz und können frei über ihre Misserfolge sprechen. Es war jedoch schwierig, Menschen davon zu überzeugen, offen zu reden. Die meisten möchten eben doch lieber über ihre Erfolge sprechen und nicht über ihre Niederlagen und Fehler.
Lütke: All diese Geschichten haben Sie in Ihrem Buch „Mein größter Fehler: Bekenntnisse erfolgreicher Unternehmer“ zusammengefasst. Gibt es eine Art verbindendes Element zwischen den Bekenntnissen?
Förster: Ja, aber anfangs war mir das nicht bewusst. Ich bin damals nach Griechenland gefahren und habe alle Texte vor mir auf den Boden gelegt und nochmals gelesen. In diesem Moment erst erkannte ich die immer wiederkehrenden Verhaltensmuster, die sich hinter den individuellen Fehlern verbergen: Unternehmer folgen nicht ihrer inneren Stimme, sie vertrauen nicht auf ihre Stärken oder wollen zu schnell wachsen. Insgesamt zehn Managementlektionen konnte ich aus den Schlüsselszenen herausfiltern. Sie sind alle unterfüttert mit der Lebenserfahrung dieser 100 erfolgreichen Unternehmer.
Lütke: Haben Sie eine Lieblingsgeschichte? Und wenn ja, warum genau diese?
Förster: Ich finde die Geschichte von Manfred Maus, dem Gründer von OBI, beeindruckend. Dieser hat mir damals offenbart, dass Bestechungsgelder geflossen sind, als ein neuer Baumarkt in einem Schwellenland eröffnet wurde. Kurz vorher wurde OBI mitgeteilt, dass direkt unter dem Baumarkt angeblich eine Gasleitung verlaufe. Deshalb könne man leider keine Genehmigung für eine Eröffnung erteilen. Manfred Maus ließ damals zu, dass ein Betrag von 10.000 Euro gezahlt wurde. Auch wenn eine Summe dieser Größenordnung für das Unternehmen OBI eigentlich keine Rolle spielt, hat Maus diese Situation bis heute nicht vergessen. Rückblickend auf sein Leben beschreibt er sein damaliges Handeln als seinen größten Fehler. Warum? Weil er sich untreu wurde und nicht auf seine innere Stimme gehört hat.
Fehler sind eine große Chance, wenn sie als Unternehmer wachsen und sich verändern wollen.
Lütke: Was würden Sie Jungunternehmen raten, wie diese aus der Erfahrung des Scheiterns lernen können?
Förster: Wichtig ist zunächst einmal, sich seine Fehler einzugestehen. Das ist nicht einfach. Wir verdrängen gerne Dinge, die uns unangenehm sind – besonders wenn wir uns dann selbst in Frage stellen müssen. Oder wir suchen einen Schuldigen. Das ist das Sündenbock-Syndrom: Wir schreiben den Fehler einer anderen Person zu und suchen eine schnelle Antwort auf die Schuldfrage. So wird man aber nicht verhindern, dass sich die gleichen Fehler wiederholen. Dazu muss man in die Tiefe gehen und die wahren Fehlerursachen erkennen. Ich rate dazu, bewusst inne zu halten, eigene Fehler anzuerkennen und aufzuarbeiten. Fehler sind eine große Chance, wenn Sie als Unternehmer wachsen und sich verändern wollen. Fehler zeigen uns, was nicht gut läuft – und wo man ansetzen kann. Wie man eine positive Fehlerkultur schaffen kann, habe ich in meinem zweiten Buch „Meine größte Chance: Wie uns Fehler voranbringen“ gezeigt.
Lütke: Während in Deutschland das Versagen noch immer ein Tabuthema ist, zeigt ein Blick nach Übersee, dass dort eine andere Kultur des Scheiterns gelebt wird. Versagen heißt hier auch lernen, aufstehen und weitermachen. Warum ist das in Deutschland anders?
Förster: Wenn man den deutschen Begriff „Existenzgründer“ mit dem englischen „Start-up“ vergleicht, sieht man, welche Bedeutung wir einer Gründung beimessen: Es geht um die gesamte Existenz. Schon daran sieht man, wie unterschiedlich die Herangehensweisen sind. Die Deutschen sind sehr auf Sicherheit bedacht. Es gibt generell wenig Gründer hierzulande und die wenigen, die etwas Neues starten, tun dies meist am Wochenende oder nebenbei. Das heißt, sie haben weiterhin eine feste Stelle und machen nebenher erste Schritte in die Selbstständigkeit. Die Angst zu scheitern ist also groß. Das ist typisch für Deutschland.
Für mich bedeutet Unternehmertum Kreativität.
Lütke: Warum ist das in Deutschland so viel stärker ausgeprägt?
Förster: Ich glaube, wir sind ein „sattes“ Land. Wir haben nach dem Krieg ein Wirtschaftswunder erlebt, das Deutschland zu einer der reichsten Nationen der Welt gemacht hat. An diesen Wohlstand haben wir uns gewöhnt, er hat uns bequem gemacht. Ein guter Unternehmer aber ist immer bereit, ein Risiko einzugehen, und gibt sich nicht mit dem Status quo zufrieden. Was wir also wieder brauchen sind ein Erfolgswillen und eine Lust auf Neues. Wir sollten nicht vergessen, dass Deutschland so gut wie keine Rohstoffe hat. Unser Kapital steckt in unseren Köpfen.
Lütke: Was kann aus Ihrer Sicht die Politik tun, um eine „Kultur des Scheiterns“ für Unternehmer zu begünstigen?
Förster: Die Politik ist ein sehr schlechtes Vorbild, denn sie lebt vor, dass man nicht offen über das Scheitern redet. Politiker tun so, als seien sie permanent erfolgreich, bei jeder Wahl gewinnt jede Partei. Mit Blick auf die politischen Rahmenbedingungen bin ich eher zurückhaltend. Wenn jemand wirklich gründen möchte, wird er sich auch durchsetzen. Nachholbedarf gibt es aber in der Bildung. Von den Kindergärten bis zu den Universitäten gibt es viel zu wenig Berührungspunkte mit dem Unternehmertum. Wer an der Universität beispielsweise Entrepreneurship-Kurse belegt, hat meist mit Professoren zu tun, die sich selbst in einem festen Anstellungsverhältnis befinden. Wie sollen die Studenten Lust am Gründen vermitteln? Ein weiteres Problem ist, dass die Wirtschaft in Deutschland oft mit Kommerz gleichgesetzt wird. Natürlich wird auch Geld verdient, aber im Kern bedeutet für mich Unternehmertum Kreativität. Nur wer neue Ideen entwickelt, wie man Nutzen stiften und Dinge neu gestalten kann, wird sich im Wettbewerb durchsetzen. Das muss man den jungen Menschen näherbringen.

Lütke: Viele Traditionsunternehmen sehen in der Digitalisierung ein großes Risiko zu scheitern. In Ihrem Format „Kreative Zerstörer“ sprechen Sie genau dieses Thema an. Denn hier stehen sich Traditionsunternehmen und Start-ups als Kontrahenten gegenüber und diskutieren, wer sich künftig am Markt durchsetzen wird. Wollen Sie mit diesem Format die Kommunikation über das Thema in Deutschland weiter ankurbeln?
Förster: Ja, und zwar auf eine Art und Weise, die nicht langweilt. Ich hasse Langeweile. Wenn wir über Innovation und Digitalisierung sprechen, lohnt es sich, die Akteure zusammenzubringen, die ihre Stärken und Schwächen gegenseitig kennen. Erst in solchen Auseinandersetzungen zeigt sich, wer die besten Ideen und eine Zukunft hat.
Lütke: Wie gehen die Themen Digitalisierung und Scheitern für Sie zusammen?
Förster: Scheitern und Digitalisierung sind erstmal zwei verschiedene Dinge, denn Scheitern kann man in jedem Bereich. Trotzdem denke ich, dass die Bedeutung der Digitalisierung auf alle Gebiete der Arbeitswelt von vielen Unternehmern unterschätzt wurde. Nicht nur, dass jeden Tag neue Software auf den Markt kommt und immer mehr Lebensbereiche von der Digitalisierung erfasst werden, auch der Wettbewerb verschärft sich. Früher brauchte man ein gewisses Startkapital, um in einen Markt einzusteigen. Heute reichen ein paar Hundert Euro, um ein Portal aufzubauen und Traditionsunternehmen Konkurrenz zu machen.
Lütke: Wer also mit der Digitalisierung des eigenen Unternehmens zu lange wartet, wird irgendwann auf der Strecke bleiben?
Förster: Man sollte längst auf den Zug aufgesprungen sein. Wer das jetzt noch nicht gemacht hat, hat ein echtes Problem. Heute kann sich keiner mehr leisten, sich nicht mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Lütke: Wie sehen Sie die Zukunft des Scheiterns in Deutschland? Dürfen wir künftig “schöner scheitern“?
Förster: Ich beobachte, dass sich etwas ändert. Schon jetzt fällt mir auf, dass es der jüngeren Generation leichter fällt, über Fehler zu sprechen.
Lütke: Wenn Sie auf ihren Werdegang als Unternehmer zurückblicken, was war bis jetzt Ihr „größter Fehler“?
Förster: Ich habe als Unternehmer schon viele Fehler gemacht. Besonders in Erinnerung geblieben, sind mir jedoch drei: Zum einen bereue ich, dass ich den Preis des Magazins nicht direkt nach dem Management-Buy-out 2013 deutlich angehoben habe. Zum anderen hätte ich von Anfang an einen stärkeren Fokus auf das Thema Firmenkultur legen sollen. In meinem Businessplan spielte dies jedoch keine Rolle. Ich analysierte den Markt, kalkulierte die Zahlen – und hatte nicht im Blick, dass der wichtigste Erfolgsfaktor eine gute Firmenkultur ist. Mein dritter Fehler war sicher, dass ich nicht frühzeitig genug die Balance zwischen meinem Privat- und Arbeitsleben gefunden habe. Heute weiß ich, ich muss mir Freiräume für Freunde und Familie schaffen, um ein guter Unternehmer zu sein.
Lütke: Eine letzte Frage noch, was essen Sie in der Kantine am liebsten?
Förster: Besonders gerne esse ich Carpaccio, aber zu einem echten Hamburger Franzbrötchen sage ich auch nicht Nein.
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