"Ich glaube, man braucht Kante."
- 23.12.2018
- AUTHOR: Simone Menne
Simone Menne kennt die Welt des Top-Managements aus dem Effeff. Kristine Lütke traf die ehemalige Finanzvorständin von Lufthansa und Boehringer Ingelheim, die heute in den Aufsichtsräten verschiedener DAX-Unternehmen sitzt, in ihrer Heimatstadt Kiel. Dort sprachen sie über Mennes Weg an die Spitze, ihre Kunstgalerie und darüber, wie viel Kante es zum Vorstandsjob braucht.
Kristine Lütke: Frau Menne, wann wird ein DAX-Konzern zum ersten Mal von einer Frau geführt werden?
Simone Menne: Also ich habe gerade zwei Aufsichtsratssitzungen hinter mir, bei der wir zwei Männer zum DAX-Vorstand ernannt haben – allerdings nicht zum Vorstandsvorsitzenden. Ich sehe immer noch viel Zurückhaltung und die Idee bei Männern „Das wird nichts, die Frauen können das nicht“. Ich mache mir wirklich Gedanken, ob wir eine Quote brauchen. Ich bin pessimistischer als ich es vor zwei Jahren war und hoffe immer auf nächstes Jahr. Ich glaube, wenn eine Frau einmal Vorstandsvorsitzende ist, dann wird sich die Debatte hoffentlich ein bisschen auflösen. Es muss Normalität sein. Normalität ist, wenn jeder sagt: „Die ist gut oder schlecht, aber es ist völlig egal, ob Mann oder Frau“.
Lütke: Im Interview haben Sie einmal gesagt „wer sich nur anpasst, kommt nicht nach oben“. Wie viel Kante braucht es, wie viel Kante ist erlaubt?
Menne: Ich habe gerade einen schönen Artikel gelesen, ich glaube in der FAS oder in der Welt, dass die Vorstandsvorsitzenden alle so blass sind. Mit Bildern von Herrn Sewing, Herrn Sturm etc. Und in dem Artikel steht: „Kante geht nicht mehr“. Ich halte das für fatal. Ich glaube, man braucht Kante. Und ich glaube, man braucht auch eine gewisse Ausstrahlung, ein gewisses Charisma. Die Problematik im DAX ist aber natürlich, dass die Vorstände Angst haben, zitiert zu werden, dass sie Angst haben, von ihren Investoren sofort vorgeführt zu werden. Da muss man sich ein bisschen emanzipieren. Ich glaube, ein bisschen Kante, ein bisschen „gegen den Strom“ und klare Worte würden sehr guttun.

Lütke: Warum wollten Sie ganz nach oben?
Menne: Ich glaube, das ist einfach so passiert. Ich habe nicht von Anfang an geplant, Vorstand zu werden. Bei jeder Stufe habe ich dann gedacht: „Ach, probiere mal ein bisschen mehr aus“. Es ist so, dass – auch wenn das ein Frauenspruch ist – natürlich auch Glück dazu gehört. Bloß wenn man dann einmal DAX-Finanzvorstand ist, dann sagt man auch gerne: „Ich will jetzt gerne CEO werden“. Einfach weil man als CEO das Unternehmen nochmal anders prägen kann. Da kann man die Strategie machen. Ich bin ein eher strategisch Denkender als ein reiner Zahlenmensch, von daher hätte mich das schon gereizt. Aber ich kann auch gut damit leben, im Hintergrund zu agieren und zum Beispiel jungen Frauen zu helfen, weiter nach oben zu kommen. Hauptsache, ich kann etwas gestalten. Das war mir immer wichtig.
Lütke: Welche Eigenschaften haben Ihnen zurückblickend am meisten geholfen, um sich im Job durchzusetzen?
Menne: Entscheidungsfreude und Risikobereitschaft. Das ist auch so ähnlich wie die Kante, klar zu sagen: „Dieses Risiko gehen wir jetzt ein, wir treffen jetzt diese Entscheidung.“ Das ist auch nicht mehr so häufig. Ich treffe viele Kollegen, die dann gerne nochmal eine Analyse machen und gerne wirklich hundertprozentige Sicherheit haben. Bloß, es ist bei jeder Vorstandsposition so: die Entscheidungen, die bei Ihnen ankommen, sind keine Entscheidungen mehr, die ohne Risiko gehen. Da haben Sie immer ein Risiko. Sie haben wahrscheinlich auch immer Menschen, die Sie verletzen, denn auch da gibt es immer – egal, wie die Entscheidung ausgeht – irgendwelche Verlierer, weil die meisten Entscheidungen auf der Ebene sehr komplex sind. Und da muss man sich trauen, das ist wichtig. Und wenn man dann transparent erklärt, warum man diese Entscheidung trifft, und es auch denen erklärt, die im Zweifelsfall tatsächlich die Verlierer sind, das halte ich für ganz wichtig, dann kriegt man auch sehr viel Akzeptanz.
Lütke: Wie wichtig waren Netzwerke für Sie?
Menne: Ich habe immer gesagt: „nein“. Ich war nicht in Netzwerken unterwegs, solange ich bei Lufthansa war. Aber das ist natürlich ein Trugschluss, mein Netzwerk war innerhalb der Lufthansa. Und das ist wirklich eins, was sich über 27 Jahre in einer Firma gebildet hat. Natürlich haben Sie dann ein Netzwerk, Sie wissen mit wem Sie über was reden und wen Sie zu etwas befragen können. In dem Sinne hatte ich ein Netzwerk innerhalb einer Firma, nicht so sehr ein Netzwerk im Sinne von Frauennetzwerk. Das habe ich eigentlich erst mit Antritt der Vorstandsposition begonnen.
Lütke: Was mussten Sie auf dem Weg ins Top-Management opfern? Menne: Teilweise das Privatleben. Das ist überhaupt gar keine Frage. Als DAX-Vorstand sind Sie sehr fremdbestimmt. Vorher habe ich schon alle drei bis vier Jahre den Job und den Ort gewechselt. Da war es sehr schwierig, etablierte Freundschaften oder auch eine Partnerschaft zu entwickeln. Nicht, dass ich es bereue, aber ich glaube schon, es wäre anders gelaufen, wenn ich die ganze Zeit in Kiel gewesen wäre.
Wenn eine Frau einmal Vorstandsvorsitzende ist, dann wird sich die Debatte hoffentlich ein bisschen auflösen.
Lütke: Gibt es etwas, dass Sie Ihrem jüngeren Ich mitgeben würden?
Menne: Ja, klarer zu sein. Ich glaube, am Anfang war ich konfliktscheu und habe auch teilweise versucht, die Dinge harmonisch zu regeln, auch wenn es gar nicht geht. Heute würde ich lieber frühzeitig sagen: „Wir haben ein Problem.“ Auch wenn es um Mitarbeiterbeziehungen geht, würde ich einem Mitarbeiter heute klar sagen: „Damit bin ich nicht zufrieden.“ Deutlicher zu sagen, was man von jemandem möchte, das halte ich für sehr wichtig. Da war ich am Anfang zu vorsichtig und das hilft beiden Beteiligten nicht. Das führt meistens dazu, dass die Probleme größer werden und am Ende dann der Lösungsprozess auch schwieriger wird.
Lütke: Was bewundern Sie an der heutigen Generation junger Frauen?
Menne: Ich glaube, sie sind zielstrebiger. Und ich glaube, dass sich dadurch auch ein Schub ergeben wird mit mehr Frauen in wirklich verantwortungsvollen Rollen. Die jungen Frauen heute sagen sehr deutlich, dass sie etwas machen wollen und auch, was sie nicht machen wollen. Das ist immer noch schwierig an einigen Stellen. Ich beobachte und höre auch von meinen Mentees, dass es da durchaus immer noch alte Rollenklischees gibt. Aber, ich glaube, ich hätte mich früher im Zweifelsfall nicht getraut zu sagen „nein, das mache ich nicht“, nur weil ich Frau bin. Die Frauen wissen heute sehr genau, was sie wollen, auch in den Studiengängen. Selbst, wenn wir über ein Auslandssemester reden oder darüber, welche Firma die richtige ist. Viele haben schon eine sehr klare Meinung und das ist deutlicher als früher. Ich stelle allerdings fest, dass immer noch bei vielen der Knick beim Thema Familie da ist, weil es natürlich schwieriger ist, das Ganze auch noch mit Familie zu managen. Wir sehen immer noch die Verantwortung bei den Frauen. Teilweise sind es die Frauen selber, die es nicht so sehr von ihren Partnern einfordern. Selbst, wenn sie ihren Chefs gegenüber sehr klar sind, ihren Partnern gegenüber im Zweifelsfall nicht.
Ich habe nicht von Anfang an geplant, Vorstand zu werden.
Lütke: Nur knapp 12 Prozent der Vorstandsmitglieder der 30 Dax-Konzerne sind weiblich. Wenn man MDax, SDax und TecDax hinzurechnet, sinkt der Anteil sogar auf rund 7 Prozent. Was soll die Politik regeln, um für mehr Gleichberechtigung von Männern und Frauen in der Wirtschaft zu sorgen, was der Markt?
Menne: Es ist natürlich ein Kulturthema. In Deutschland sind wir schon außergewöhnlich mit dem Thema „Rabenmutter“ und dem Druck von Eltern und Schwiegereltern auf junge Frauen. Wenn ich mir ein politisches Modell aussuchen könnte, wäre es das schwedische. Das heißt, jeder muss für seine eigene Rente arbeiten. Dann haben Sie eben keine Partnerschaftsmodelle, wo der Partner arbeitet und man bekommt dann die Rente des Partners, sondern es wird ganz klar gesagt: „Jeder arbeitet für seine eigene Rente.“ Und gleichzeitig hat man aber geregelt, dass die Betreuung bis 4 Uhr nachmittags funktioniert und es gehen dann sowohl Frauen als auch Männer um 4 Uhr nach Hause, auch im Top-Management, weil das die Familienzeit ist. Das ist so normal, da redet gar keiner darüber. Als ich das einmal erlebt habe, habe ich mich noch gewundert, dass unser Top-Manager in Schweden tatsächlich, selbst wenn der Vorstand da war, um 16 Uhr gegangen ist. Wirklich auch zu sagen: „Wieso soll ich länger bleiben, als das, was Not tut?“ Der deutsche Botschafter saß einmal neben mir beim Abendessen und hat gesagt: „In Deutschland wird halt mehr gequatscht.“ Oder auch, wenn Sie in einem deutschen Großkonzern sind, wie viele Leute sich dort mit der Grammatik einer Vorstandsvorlage beschäftigen, ist völlig unnötig. Diesbezüglich ist Verlässlichkeit ganz wichtig und auch eine Kultur, die im Zweifelsfall wirklich Abstand von der ständigen Verfügbarkeit nimmt. Derzeit bewegen wir uns manchmal sogar in eine Falle mit dem Home Office. Es ist zwar Home Office, aber trotzdem ist die Erwartungshaltung, dass man dich jederzeit erreichen kann. Und das darf es nicht sein. Wir haben vielleicht bestimmte Kernzeiten, in denen jemand erreichbar ist, wo Besprechungen stattfinden. Und dann gibt es Zeiten, in denen sich jeder selbst organisieren kann. Solange jemand seine Arbeit schafft – das ist eine Herausforderung an die Führungskräfte, wie man dann die Messung der Arbeit steuert – ist alles in Ordnung.
Lütke: Gilt das auch für den Vorstandsjob?
Menne: Ob die Arbeit in einem bestimmten Zeitrahmen zu erledigen ist, wüsste ich bei Vorstandsvorsitzenden im DAX nicht, denn da haben Sie Mitarbeiterveranstaltungen, da müssen Sie politische Veranstaltungen und Dinner mit Kunden machen. Als Vorstandsvorsitzender oder auch als Vorstand muss man sich klar darüber sein, dass man mit einem Acht-Stunden-Tag nicht klar kommt. Aber, dass man trotzdem mal sagen kann, dass man um 16 Uhr geht und danach vielleicht abends zum Dinner, das halte ich für absolut machbar.
Lütke: Viele machen sogenannte „Old boys’ networks“ für die geringe Zahl von Frauen in Top-Positionen verantwortlich. Reproduzieren sich diese Muster auch bei jungen Männern oder erledigt sich das Problem mit dem Generationenwechsel in den Führungsetagen?
Menne: Ich hoffe stark, dass junge Männer sich da nicht alles abgucken. Die Gefahr ist natürlich da, wenn sie in einer Organisation sozialisiert werden, die genauso tickt. Dann ist es egal, ob sie 45 sind oder 65. Sie haben immer noch dieselben Stereotypen im Kopf. Und das halte ich für eine große Gefahr. Allerdings haben ja junge Männer eben festgestellt, wenn sie im Studium oder auch am Anfang ihrer Arbeit sind, dass junge Frauen genauso gut sind. Von daher glaube ich, dass dieses Schema da eigentlich aufbrechen müsste. Aus meiner Sicht müsste man da schon viel früher, im Kindesalter, bei den weiblichen Rollenklischees ansetzen. Es ist nachweislich so, dass in Zeichentrickfilmen beispielsweise auf eine weibliche Figur fünf männliche Figuren kommen. Wenn Sie sich die typischen Blockbuster ansehen, ist es leider immer noch so, dass sich die Frau, auch wenn sie Wissenschaftlerin oder ähnliches ist, am Ende an die breite Schulter des Mannes schmiegt und gerettet werden muss.

Lütke: Fast jeder dritte Deutsche wünscht sich von Unternehmen eine politische Haltung. Nike greift in seiner aktuellen Kampagne die Diskriminierung von Afroamerikanern im Sport auf. Siemens-Chef Joe Kaeser hat sich deutlich gegen Nationalismus positioniert. Wie politisch soll ein CEO sein?
Menne: Das muss jeder natürlich selber entscheiden. Ich persönlich würde sagen, es ist schon wichtig, dass man sich klar äußert. Natürlich besteht die Gefahr, dass wenn man als Vorstandsvorsitzender sagt „das und das finde ich nicht gut“, man Sorge hat, dass Leute nicht mehr das Flugticket kaufen oder das Auto oder den Kühlschrank. Aber ich glaube, es muss trotzdem sein. Man muss dann differenzieren zwischen seiner Meinung als Person und der des Unternehmens. Manchmal muss auch eine Firma Mut haben. Wenn Sie an Nike denken, das war ja sehr mutig und auch sehr umstritten, aber ich glaube, es ist gefährlich, wenn man sich nur raushält. Und ich glaube, es ist gefährlich für die Gesellschaft. Wenn sich die wirtschaftlichen Eliten nicht positionieren, führt das in meinen Augen noch zusätzlich zu einer Spaltung in der Gesellschaft.
Die Frauen wissen heute sehr genau, was sie wollen.
Lütke: Sie sind jetzt auch Gründerin – einer Kunstgalerie. Von der Gewerbeanmeldung bis zur Datenschutzerklärung auf der Website müssen Sie sich jetzt um alles selbst kümmern. Wie fühlt sich das an?
Menne: Einerseits ist es sehr spannend. Andererseits bin ich selbst tatsächlich der Flaschenhals und das größte Hindernis bei der Umsetzung, weil ich so viel anderes tue und nicht richtig fokussiert war.Bisher habe ich wenige bürokratische Hindernisse erlebt. Ich konnte in Kiel online das Gewerbe anmelden, das ging wirklich reibungslos und es kamen dann auch die übrigen Meldungen. Das einzige, was ich noch vermisse, ist die Meldung vom Finanzamt, was mich und meinen Steuerberater sehr wundert – die sind sonst ja mit die schnellsten. Das Versicherungsthema war ein schwieriges. Aber eigentlich macht es Spaß, weil man selber merkt, was man beeinflussen kann. Ich bin mit mir nicht zufrieden, ich bin lange nicht so schnell, wie ich dachte. Aber das liegt vollständig an mir, ich kann keinem anderen die Schuld geben und das ist ganz erfrischend.
Lütke: Vor ihrer Galerie steht eine große Kunstinstallation eines Fisches. Daher unsere Abschlussfrage: Fischbrötchen oder Bouillabaisse?
Menne: Bouillabaisse. So gerne ich Fischbrötchen mag, aber Bouillabaisse ist etwas ganz Tolles.
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